Gustav Eberlein im Künstlerlexikon Thieme-Becker Leipzig 1914

Von W. Kurth. Unveränderte Wiedergabe des Textes. Werknummern (Grimm-Verzeichnis) in eckigen Klammern ergänzt.

Eberlein, Gustav (Heinrich), Bildhauer und Maler zu Berlin; geb. 14.7.1847 im Dorf Spiekershausen bei Hannoversch-Münden. Anfangs Goldschmied, verläßt er 1870 nach einem dreijährigen Studium die Kunstschule in Nürnberg und begibt sich mit einem dreijährigen Stipendium der Königin Elisabeth (Witwe Friedrich Wilhelms IV.) nach Berlin. Hier tritt er als Gehilfe in die Werkstatt Bläsers ein, in der er bis 1873 verbleibt. Seine künstlerische Anschauung war durch die Bekanntschaft mit Werken Reinhold Begas‘ auf der Münchener Ausst. 1869 wesentlich bestimmt worden und konnte somit in der Werkstatt Bläsers, der die Tradition von Rauch‘s Klassizismus hochhielt, keine Befriedigung finden. Eine Reise nach Rom 1873 brachte ihm vor den Bildhauerwerken des Barocks die letzte Gewißheit über die malerischen Prinzipien der Kunst Begas‘, die er am konsequentesten aber auch einseitigsten von der ganzen Begasschule vertreten hat. 1887 wurde er Mitglied der Akademie in Berlin; 1889 erhielt er die Silberne Staatsmed. auf der Intern. Ausst. Wien; 1893 wurde er zum Professor ernannt und 1897 ehrte ihn die Akademie Berlin durch eine Kollektivausst. seiner Werke.

Erste Periode: Sie reicht von 1880 bis c. 1888, bis zu den großen Monumentalaufgaben und umfaßt eine größere Anzahl anmutiger Idealfiguren in genrehaften und idyllischen Motiven. Ein tüchtiges Studium des Nackten strebt vornehmlich nach den malerischen Reizen der Oberfläche, die er in seinen jugendlichen weiblichen Gestalten den pikanten Illusionswerten des Rokoko anzunähern weiß. Auch Bewegung und eine gewisse süße Sentimentalität erinnern an das 18. Jahrh.; dazu kommt ein Beiwerk von Vasen mit Girlanden, abgebrochenen Postamenten und Säulen, zierlichen Ornamenten, das den Eindruck von Nippesfiguren jener Zeit hervorruft. Als erstes Werk der „Dornauszieher“ (Kunstausst. 1880; 1886 für die National-Gal. in Berlin erworben) [GV 4], der das antike Motiv durch hohes Sitzen kompliziert und in seiner ehrlichen Oberflächencharakteristik berechtigtes Aufsehen erregte. „Griechische Flötenbläserin” [GV 6] (1881 auf d. Akad.-Ausst. Berlin), „Taubenopferndes Mädchen“ [GV 9] leiten zu der bekannten „Psyche“ (1884) [GV 345] über, die sein weibliches Ideal am besten zeigt. An diese Figur schließen sich mehrere Gruppen wie „Amor und Psyche“ (1884) [GV 288] u. „Merkur und Psyche“ (1891 Kunstausst. Berlin) [GV 295?] an, die bei vielem Aufwand in den Motiven des Schwebens doch nur recht bescheidene Wirkungen erzielen und überdies in der Auffassung einem etwas süßlichen Geschmack huldigen. Plastischer gedacht ist eine Reihe von Gruppen, die bei aller malerischen Lockerung der Teile doch eine Schließung des Umrisses des Ganzen anstrebt. „Venus Amor züchtigend“ (1884 Akad. Kunstausst.) [GV 265], „Traum“ [GV 287], d. h. Mädchen einen schlafenden Jüngling auf die Schläfe küssend, eine Gruppe von zwei Büsten, in der die Marmorbehandlung die Technik des Tons nachahmen will; „Das Geheimnis“ (1886) [GV 290], „Venus fesselt Amor“ (1886) [GV 269]. An dem Schluß dieser ersten Periode steht der „Amor als Bogenspanner“ (1888 Kunstausstell.) [GV 290], der in seiner kraftvollen Bewegung und der freien Behandlung des Muskelspiels einen bedeutenden Fortschritt gegenüber der ersten Figur dieser Periode, dem Dornauszieher, bedeutet; an Stelle des tändelnden Rokoko tritt die höhere Energie des Barock. Dieser Geschmack kennzeichnet die folgende Periode.

Zweite Periode von c. 1889 bis c. 1898: Beherrscht wird sie von den großen Denkmälern, wie sie die Massennachfrage nach dem Tod der beiden Kaiser, Wilhelm I. u. Friedrich III., 1888 forderte. Typisch ist für diese Zeit das noch geringere Pathos, das E. den Dargestellten gibt, wenngleich er den malerischen Aufwand an flatternden Mänteln, Helmbüschen und Pferdemähnen und -schweifen ausgiebig verwendet. Der einfache klassizistische Sockel der früheren Zeit wird mit den phantasievollen symbolischen und allegorischen Statuen und Historienreliefs der Kunst Begas‘ überreich dekoriert. E.s Eigenart besteht darin, die Gruppen vor und seitlich vom Sockel in ganz lockeren Bewegungen und freier Selbständigkeit herauszuarbeiten, was manchmal auf Kosten der Hauptfigur geschieht. Schon zwei frühere Denkmalsentwürfe „Lessing“ für Berlin, 1886 (ohne Preis) [GV 194] und „Gebrüder Grimm“ für Hanau, 1889 (2. Preis) [GV 196] zeigen seine eigenartigen lockeren Sockelfiguren. Von den ausgeführten Kaiser Wilhelm I.-Denkmälern dürfte das in Mannheim die beste Leistung sein (E. siegt 1890 in einer 2. engeren Konkurrenz) [GV 139]. Vorangegangen war das Denkmal Kaiser Wilhelms I. für Elberfeld (1889 1. Preis und Ausführung) [GV 142]; diesem schließt sich 1891 das Denkmal Kaiser Friedrichs III. in Elberfeld an [GV 149], 1893 ausgeführt; und das Kaiser Wilhelm I.-Denkmal für Altona, 1897 [GV 168]. Kleinere Ausführungen: Kaiser Wilhelm I. für Gera (1893) [GV 153], Geißlingen (1895) [GV 152] u. München-Gladbach (1895) [GV 169]. Von den zahlreichen Konkurrenzentwürfen für Denkmäler Kaiser Wilhelms I. seien genannt: Nationaldenkmal für Berlin (1889) [GV 143], Stuttgart (1893) [GV 146] u. Nürnberg [GV 145]. – Neben diesen Kaiserdenkmälern entstanden andere Denkmäler, die jedoch meist Entwurf blieben: Bismarck (1896) [GV 166], Bismarck für Krefeld (1895; ausgeführt) [GV 157], Bismarck für Berlin (1. Preis; unausgeführt) [GV 159]. Für Kaiser Wilhelm II. arbeitet er im Weißen Saale des Berliner Schlosses die Nischenstatue Friedrich Wilhelms III. [GV 156] und 1895 die Reiterstatuette des Kaisers [GV 163]. In der Siegesallee fielen ihm die Denkmäler Friedrichs I. mit den Büsten Dankelmanns und Schlüters [GV 177] und Friedrich Wilhelms III. mit den Büsten Blüchers u. Steins zu (1896) [GV 178] – Andere Werke bewegen sich auf dem Hauptfeld der Begasschule, der dekorativen Skulptur, für die E. Phantasie und Schwung mitbringt. „Der Friede sichert die Kraft des Landes“ und „Landwirtschaft und der Reichtum des Landes“ (Entwürfe für die Treppenhalle des Landesgewerbemus. in Stuttgart, 1893) [GV 104] und die schönen, malerisch bewegten Brunnen [GV 107], die das Kaiser Wilhelm I.-Denkmal in Mannheim flankieren (1895) und das Bernini-Motiv des Berliner Begasbrunnens aufnehmen. – An die Idealfiguren, wie sie die erste Periode besonders pflegte, stellt diese Periode höhere Ansprüche bezüglich plastischen Ernstes. Die Gruppe „Verwundete Nymphe“ (1890 Kunstausst. Berlin) [GV 344] und die Statue „Erwachen“ (1891) [GV 348] drängen weniger das Genremotiv als die schöne Bewegung in den Vordergrund. Zu seinen Hauptwerken ist die Gruppe des „Pygmalion und Galatea“ (1896 Kunstausst. Berlin) [GV 294] zu zählen, die der Kraft von Begas verwandt ist. In diesem Werk und einigen anderen dieser Periode wie „Pieta“ (1894 Kunstausst.) [GV 38], „Ewiger Schlaf“ (1896) [GV 79] kündigt sich ein Pathos an, das in den gewagtesten Motiven, Bewegungen und Gruppenbildungen die 3. Periode charakterisiert.

Dritte Periode von 1898 bis 1910: Die tragischen Motive sind oft von leerer Deklamatorik. Die modernen belgischen Bildhauer mögen hier E. beeinflußt haben. 1898 erschienen auf der Kunstausst. in Berlin die Gruppen des „Sündenfalls“ [GV 43], die das Seelendrama in wenig innerlicher Auffassung gaben; diesen schlossen sich an „Abel“ [GV 46], „Kain“ [GV 45], „Adam mit  der   Leiche   Abels“   [GV  44],   „Eva  an  der

Leiche Abels“ [GV 47], „Adam und Eva am Ende ihres Lebens“ [GV 48]. Auf ders. Ausst. erschien auch die seltsame Büste Goethes in der Betrachtung von Schillers Schädel [GV 204]. – 1900 zeigte E. auf der Großen Kunstausst. in einer Sammelausstellung eine Reihe von religiösen Gruppen, die sich eines etwas äußerlichen Pathos für die Charakteristik bedienen. Schon aus den Thematen wird man die Bedenklichkeit einer würdevollen plastischen Darstellung ersehen: „Joseph von Arimathia mit dem vom Kreuz abgenommenen Leichnam“ [GV 53], „Engel heben den Stein vom Grabe Christi“ [GV 55], „Himmelfahrt Christi“ [GV 56]. Daneben erschienen Brunnengruppen derben, aber gesunden Lebens, wie „Faun gibt einer Nymphe zu trinken“ [GV 299], „Bacchantengruppe“ [GV 16]. Im selben Jahr wurde in Tilsit das Königin Luise-Denkmal [GV 172] und in Kiel der „Krucifixus“ in Bronze vor der Garnisonkirche [GV 50] enthüllt. 1901 wurde E. in einer zweiten engeren Konkurrenz die Ausführung des Richard Wagner-Denkmals in Berlin (1901) [GV 207] übertragen, das wie das Goethe-Denkmal für Rom (1902) [GV 208], das Wilhelm II. der Stadt Rom schenkte, den pathetischen Stil der letzten Periode zeigt. Zurzeit lebt der Künstler in Buenos Aires (Argentinien), um dort ein großes Nationaldenkmal [GV 215] auszuführen. Sein Atelier in Berlin ist zurzeit als Museum aufgemacht, während er seiner Heimatstadt Münden schon 1898 ein „Eberlein-Museum“ geschenkt hat, das, außer Originalen u. Modellen, Abbildungen fast sämtlicher plastischer Arbeiten, zahlreiche Zeichnungen sowie 2 Gemälde E.s „Vertreibung aus dem Paradies“ [GV 756] u. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid“ [GV 759] enthält. – Auch als Schriftsteller hat sich E. betätigt, 1892 erschien in Berlin „Aus eines Bildners Seelenleben, Plastik, Malerei u. Poesie“ [GV 1000].

 

Rosenberg, Eberlein, (Velhagen u. Klasing) 1903. – Dreßler, Kunstjahrb., 1913. – Fr. v. Bötticher, Malerw. des 19. Jahrh. I (1891). – Zeitschr. f. bild. Kst u. Kstchron. I-XXIV u. N. F. I-XVI (s. Reg.-Bde); Kstchron. N. F. XVIII 94, XXI 63 f. – Kunst f. Alle II-VI, IX, XI, XIV. – Hohenzollernjahrbuch VII (1903) 291. – Jahrb. d. preuß. Kstsamml. III p. XVIII; VI p. XXVII. – Gegenwart LXII p. 10-12, 27-29 (A. Mathes, Klingers Beethoven u. Eberleins Goethe). – Berliner Tageblatt v. 30.7.1893 (Eberlein-Mus. in Hann.-Münden). – Kat. der Akad.-Ausst. in Berlin 1876-1850 u. der Berliner Gr. Kstausst. 1893-1903, 1900, 1907, 1911, 1913. – Kat. der Samml. Rösicke im Augusteum in Oldenburg, 1910, p. 11. – G. Eberlein, das Goethemonument in Rom u. andere Werke (30 Autotypien), 1904.